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Einführung in die Hämophilie

Hämophilie

Behandlungsmöglichkeiten der Hämophilie

Die Behandlung unterscheidet sich je nach Ausprägung der Hämophilie. Diese wird in die drei Stufen leicht, mittelschwer und schwer unterteilt und richtet sich danach, wie viel Gerinnungsfaktor noch im Blut zu messen ist. Die meisten Patienten haben eine schwere Hämophilie A (Restaktivität von Faktor VIII unter 1%).
Bei Patienten mit leichter Hämophilie A (Restaktivität von Faktor VIII über 10%) ist eine Behandlung mit Desmopressin (Abkürzung: DDAVP, Handelsname: z.B. Minirin®) möglich. Diese Substanz führt zur Freisetzung von Faktor VIII aus körpereigenen Speichern und lässt kurzzeitig die Aktivität im Blut deutlich steigen. Alle anderen Hämophilie-Patienten bekommen heute den ihnen fehlenden Gerinnungsfaktor (VIII oder IX) über eine Vene direkt in die Blutbahn verabreicht. Dies geschieht fast immer als Selbstbehandlung zuhause, dauert nur wenige Minuten und wird von den Eltern bzw. den Patienten im Hämophiliezentrum unter Aufsicht erfahrener Betreuer erlernt.
 

Dauerbehandlung (Prophylaxe) und Bedarfsbehandlung

In Bezug auf die Behandlungsart unterscheidet man die vorbeugende Dauerbehandlung (regelmäßige Gabe des Gerinnungsfaktors bis zu dreimal pro Woche = Prophylaxe) und die Bedarfsbehandlung (sofortige Gabe bei einer plötzlich auftretenden Blutung). Die Prophylaxe wird häufig bei Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen mit schwerer Hämophilie (Restaktivität des Gerinnungsfaktors unter 1%) angewendet. Sie sorgt auch für den sehr wichtigen Schutz vor wiederholten Blutungen ins Gelenk und vermeidet somit bleibende Gelenkschäden. Diese Behandlungsart ist heute bei den meisten Kindern Standard und wird bis zum Wachstumsende durchgeführt. Im Erwachsenenalter wird dann häufig die Bedarfsbehandlung angewendet. Aber auch hier gibt es Situationen, in denen es medizinisch von großem Nutzen ist, die vorbeugende Dauerbehandlung fortzusetzen oder zeitweise zu ihr zurückzukehren. In welcher Dosis der jeweilige Gerinnungsfaktor gegeben werden muss, ist abhängig vom einzelnen Patienten, dem Ort der Blutung und ihrem Schweregrad. Im Zweifelsfall sollte man immer das Hämophiliezentrum um Rat fragen.
 

Natürliche und künstlich hergestellte Gerinnungsfaktoren

Bevor die Ersatztherapie mit modernen Gerinnungsfaktoren (VIII, IX) zum heutigen Standard werden konnte, waren langwierige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig. Ende der sechziger Jahre kam das erste Faktorkonzentrat in die Apotheken. Wie die Mehrheit der heute verwendeten Präparate wurde es aus menschlichem Blutplasma gewonnen und ermöglichte erstmalig eine wirkungsvolle Blutstillung. Seit Ende der neunziger Jahre stellt man Gerinnungsfaktoren auch gentechnisch her, sogenannte „rekombinante“ Präparate.
Bei den modernen aus menschlichem Blutplasma gewonnen Faktorkonzentraten wird auf eine besonders hohe Reinheit und Sicherheit geachtet. Beides wird durch viele Kontrollschritte während und auch nach der Herstellung gewährleistet, der gesamte Produktionsvorgang unterliegt strengen behördlichen Richtlinien. So konnte erreicht werden, dass seit über 20 Jahren keine gefährlichen Krankheitserreger mehr durch Faktorkonzentrate übertragen wurden.

Die Behandlung mit Gerinnungsfaktoren ist auch heute noch die bestmögliche Therapieform der Hämophilie. Die Forschung macht allerdings weiter Fortschritte, um verschiedene Probleme bei der Behandlung (z. B. Hemmkörper-Bildung, siehe unten) besser in den Griff zu bekommen.
 

Faktor VIII aus der Natur

Gentechnisch hergestellte Gerinnungsfaktoren sind in gezüchteten tierischen Zellen künstlich erzeugte Eiweißstoffe, während die aus menschlichem Blutplasma hergestellten Präparate die ursprünglich von der Natur vorgesehenen Gerinnungsfaktoren in konzentrierter Form enthalten. Beim natürlichen Faktor VIII spricht man auch vom Wild-Typ.
Natürlich gewonnener Gerinnungsfaktor wird in vielen Schritten mehrfach gereinigt, konzentriert, filtriert und am Ende gefriergetrocknet. Je moderner und schonender dieser Arbeitsprozess bei Präparaten aus Blutplasma verläuft, desto mehr behält das Faktorkonzentrat seine typische natürliche Zusammensetzung. Besonders wichtig ist hierbei der Gehalt eines weiteren für die Blutgerinnung unverzichtbaren Eiweißstoffes, dem sogenannten Von-Willebrand-Faktor (Abkürzung: VWF). Der VWF befindet sich  in der Blutbahn und sucht die Blutgefäße nach Verletzungen ab. Zudem transportiert und stabilisiert er den Faktor VIII.
Forscher haben in den letzten Jahren herausgefunden, dass Faktorpräparate mit einem bestimmten Gehalt an der Kombination aus Faktor VIII und VWF - so wie sie auch im menschlichen Blut von Gesunden vorliegt - positive Eigenschaften für die Hämophiliebehandlung mitbringen. Zum Beispiel ist der Gerinnungsfaktor durch VWF auf natürliche Weise stabilisiert, so dass auf Zusatzstoffe wie Albumin oder Zucker verzichtet werden kann. Er wird auch vor einem vorzeitigen Abbau in der Blutbahn geschützt, kann also länger wirken. Das körpereigene Abwehrsystem wird insgesamt positiv beeinflusst und damit auch die bei Hämophiliepatienten gefürchtete Bildung von sogenannten Hemmkörpern.
 

Hemmkörperhämophilie – ein ernstes Behandlungsproblem

Wie bei allen von außen zugeführten  Eiweißen kann es auch bei der Therapie mit Gerinnungsfaktoren zu einer Bildung von Abwehrstoffen kommen, den sogenannten Antikörpern. Der menschliche Körper möchte diese für ihn „fremden“ Stoffe wieder loswerden bzw. neutralisieren. Bei Hämophilie-Patienten werden diese Antikörper auch  „Hemmkörper“ genannt und führen dazu, dass der gespritzte Faktor wirkungslos wird. Meistens geschieht dies während der ersten drei Monate nach Behandlungsbeginn und betrifft im Lauf der Behandlung insgesamt bis zu 30% aller Patienten mit Hämophilie A (bei Hämophilie B sind es nur ca. 3%). Hemmkörper können also jederzeit auftreten und werden meistens dadurch bemerkt, dass die übliche Faktordosis nicht mehr ausreicht, um eine Blutung zu stoppen. Mit dem sogenannten Bethesda-Test kann man das Vorhandensein und die Menge der Hemmkörper bestimmen. Je mehr Hemmkörper im Blut schwimmen, desto mehr Gerinnungsfaktor kann abgefangen und unwirksam gemacht werden. Hier kommt jetzt der natürliche Von-Willebrand-Faktor ins Spiel. Wie Forscher zeigen konnten, schützt der VWF den Faktor VIII vor einem Angriff durch Abwehrzellen. Zudem transportiert er den Faktor VIII in den wichtigen Bereich der Milz, in dem die Duldung (Toleranz) des therapeutisch zugeführten Gerinnungsfaktors organisiert wird. Somit wird er als weniger fremd wahrgenommen und es werden keine bzw. nur wenige Hemmkörper gebildet.
In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass plasmatische Faktorpräparate mit einem bedeutenden Gehalt an Von-Willebrand-Faktor nur selten Hemmkörper auslösen.

Wenn die Blutung bei einer Hemmkörperhämophilie durch die übliche Faktorbehandlung nicht mehr gestoppt werden kann, gibt es andere gerinnungsauslösende Substanzen, die dann kurzfristig gegeben werden müssen. Dies ist aber keine gute Dauerlösung.
Bei Hämophilie A-Patienten, die hohe Mengen an Hemmkörpern im Blut haben, wird deshalb heute eine bestimmte Behandlungsmethode eingesetzt, um diese ernste Hürde für eine weitere erfolgreiche Therapie dauerhaft zu überwinden. Sie wird im Folgenden beschrieben.
 

Immuntoleranzinduktion – mit hohen Faktormengen das Abwehrsystem überlisten

Diese Behandlungsmethode wird Immuntoleranzinduktion genannt, abgekürzt auch  ITI. Sie soll dazu führen, dass sich das körpereigene Abwehrsystem an die Therapie mit Gerinnungsfaktoren so stark gewöhnt, dass keine Hemmkörper mehr gebildet werden. Am Ende soll die Faktor-VIII-Therapie wieder ganz normal durchgeführt werden können. Bis dahin können aber bis zu zwei Jahre vergehen, die viel Geduld und Willenskraft erfordern, da eventuell bis zu zweimal täglich hohe Mengen an Faktor VIII verabreicht werden müssen. Bei vielen Patienten führt diese Methode zum Erfolg. Inzwischen haben Forscher auch hier Hinweise darauf gefunden, dass Faktor-VIII-Präparate mit hohem Gehalt an Von-Willebrand-Faktor besonders gut wirken. Dies betraf sogar Patienten, bei denen die ITI zuvor nicht erfolgreich gewesen war und deshalb ein zweites Mal durchgeführt werden musste.